"Survival of the Miesest, Blödest, Tötest"

Auf ihrem Parteitag in Rostock haben die Grünen einmal mehr mit alten Prinzipien gebrochen: Krieg ist jetzt legitimes Mittel ihrer Politik.

Bei den Grünen ist nichts mehr so, wie es einmal war. Früher - da freuten sie sich über die "taz" - schließlich hatten das links-alternative Blatt und die Partei die gleichen Wurzeln. Bei der Bundesdelegiertenkonferenz von "Bündnis 90/Die Grünen" am 24./25. November 2001 in Rostock war das anders. Die Organisationsleitung hatte beschlossen, die "taz" nicht unter den Delegierten verteilen zu lassen. "Wir machen uns an der taz nicht die Finger schmutzig", sagte der grüne Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer.

Der Grund: Auf Seite eins war ein Foto der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth zu sehen. Überschrift: "Die Gurke des Jahres" - eine Anspielung auf die taz-Rubrik "Die Gurke des Tages", die seit genau zehn Jahren auf der "Wahrheit"-Seite erscheint. Erst nachdem einige Delegierte interveniert hatten, durfte die "taz" doch noch verteilt werden.

Früher - da verteidigten die Grünen die Meinungsfreiheit; und sie berufen sich heute noch gerne auf die Tradition der Bürgerrechtler in der ehemaligen DDR. Doch mit Kritik gehen die Grünen jetzt alles andere als zimperlich um. Die Rostocker Saalordner zeigten, was sie in der Zeit vor dem Fall der Mauer gelernt haben: Als eine Frau dem deutschen Außenminister ein weißes Laken mit der Aufschrift "Joschka, du Kriegsverbrecher" entgegenhielt, wurde es ihr von einem Ordner aus den Händen gerissen.

Früher - da waren die Grünen gegen den Krieg. Und heute... Dabei ging es gemessen an früheren Parteitagen in Rostock sogar friedlich zu: Kein Wasserpistolen-Einsatz wie beim Parteitag in Neumünster 1991, als die ehemalige Parteivorsitzende Jutta Ditfurth aus der Partei austrat. Kein farblicher Kollateralschaden am Ohr von Joschka Fischer wie beim Bielefelder Kosovo-Parteitag 1999, als die Partei zum ersten Mal einen Kriegseinsatz befürwortete.

Nach elf Stunden "Redeschlacht" (Stuttgarter Zeitung) billigten sie zum zweiten Mal in ihrer Geschichte einen Bundeswehr-Einsatz außerhalb des NATO-Gebiets. Als rhetorischen Hauptkombattanten hatte der Grünen-Bundesvorstand, dessen Antrag sich schlussendlich durchsetzte, den Außenminister und Vizekanzler Fischer aufgeboten. Fischer beschwor in seiner Rede, die er - wie so oft auf Parteitagen - unter weitgehendem Verzicht auf die Regeln der deutschen Grammatik hielt und die wohlweislich auch nicht auf den Internetseiten seiner Partei dokumentiert wird, die Delegierten: "Lasst mich nicht allein." Am Ende seiner Chaos-Rede ohne Konzept forderte Fischer: "In einer basisdemokratischen Partei muss die Basis auch Verantwortung übernehmen." Die Delegierten dankten diesen Vertrauensbeweis mit minutenlangem Applaus. Und es war auch kein Protest zu vernehmen, dass Fischer während seiner Rede zu Protokoll gegeben hatte, er "achte und respektiere" die Euro-Rechtsaußen Haider und Berlusconi.

Keine Mehrheit fand dagegen die Position der Bielefelder Bundestagsabgeordneten Annelie Buntenbach, die auch schon 1999 beim Kosovo-Parteitag in ihrer Heimatstadt die Fahne der Kriegsgegner/innen hoch gehalten hatte. Buntenbach: "Wer Verantwortung für den Krieg übernimmt, der übernimmt auch Verantwortung für die Splitterbomben."

Völlig Orwellsch fiel der Beschluss aus, den die Delegierten mehrheitlich fassten: "Wir akzeptieren, dass unsere Abgeordneten mehrheitlich der Bereitstellung von Einheiten der Bundeswehr zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zugestimmt haben." Und weiter: "Bündnis 90/Die Grünen bleiben der pazifistischen Tradition verpflichtet und verbunden."

Den Krieg billigen und denjenigen in Partei und Fraktion, die dagegen waren, nicht zu sehr vor den Kopf stoßen - das war die Devise des Bundesvorstandes. Deshalb ist der ganze Text des Beschlusses geprägt von Formulierungen, in denen Verständnis für die Dissidenten geäußert wird - solange sie in der Minderheit bleiben und nicht die rot-grüne Regierungskoalition gefährden.

Fast wäre noch etwas dazwischen gekommen. Kurz vor Toresschluss brachten einige Grünen-"Realos" noch einen Antrag ein, in dem von Verständnis für die Abweichler keine Rede mehr ist. Kernsatz: "Die BDK billigt die Entscheidung der Bundestagsfraktion." Antragsteller waren zahlreiche Bundestagsabgeordnete, die - in bester basisdemokratischer Manier - ihr eigenes Abstimmungsverhalten legitimiert sehen wollten, darunter Thea Dückert, Katrin Göring-Eckardt, Marieluise Beck, Cem Özdemir, und Reinhard Loske. Weitere Antragsteller waren Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, und der Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit. Bei einem Meinungsbild bekam dieser Hardcore-Antrag sogar mehr Stimmen als die Soft-Version des Bundesvorstandes.

Eine Mehrheit für den Fücks/Cohn-Bendit-Antrag wäre allerdings gar nicht im Sinne der Erfinder gewesen. "Von den Delegierten aus Nordrhein-Westfalen wurden Ankündigungen nach oben gereicht, für den Fall eines »Durchmarsches« der Fischer-Freunde würden so viele Abgeordnete im Landtag die Fraktion verlassen, dass die Koalition mit der SPD in Düsseldorf beendet wäre" - berichtet jedenfalls die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Ein Ende der rot-grünen Koalition in NRW hätte ja wiederum Posten gekostet - wo es doch in Rostock darum gehen sollte, die Regierungsbeteiligung - und die damit verbundenen Posten - zu erhalten.

Wie sehr die Grünen solch postensicherndes Wohlverhalten honorieren, konnten die Delegierten ein ganzes Wochenende auf dem Podium bewundern. Dort saß die ehemalige Grünen-Sprecherin Gunda Röstel, quasi als Mahnmal. Denn Röstel wurde nach der Niederschlagung der Atomopposition bei den Grünen hochbezahlte Managerin der Gelsenwasser AG, einer Tochter des Atomkonzerns Eon. Röstel ist immer noch Mitglied des grünen Parteirats. Ihre zeitweilige Vorstandskollegin Antje Radcke, die sich vor dem Karlsruher Parteitag im März 2000 gegen den Atomkonsens ausgesprochen hatte, wurde dagegen auf den billigen Plätzen in den unteren Sitzreihen der Halle postiert.

"Ein bisschen Spaßfaktor ist wieder da", zitiert die Frankfurter Rundschau Joschka Fischer beim "nächtlichen Klönschnack nach der Entscheidung", die für ihn so positiv ausging. Und auch die Parteisprecherin zeigte sich nicht über den Beschluss des Parteitags besorgt, sondern nur um die daraus resultierenden Mitglieder-Verluste: "Bleibt bei uns", appellierte Gurke Roth an alle, die gehen wollen. Diese Strategie kommentierte Bettina Gaus in der "taz" passenderweise so: "Die Kriegsgegner sollen weiterhin ihren Platz bei den Grünen behalten - jedenfalls wenn sie die Klappe halten."

Ein paar nützliche Idioten scheinen der Parteiführung tatsächlich den Gefallen zu tun. Unmittelbar nach dem Parteitag kursierte ein Papier mit dem Titel "Wir machen weiter", in dem die Illusion genährt wird, die Basis hätte bei den Grünen noch etwas zu sagen: "Wir können und wollen die Existenzfragen, wie die von "Krieg und Frieden" und dem schnellen Ausstieg aus der Atomenergie, gegen Ausweitung von innerstaatlicher Überwachung und Repression mitentscheiden." Unterschrieben ist das Papier von einer Reihe jugendlicher Grüner sowie vom berufsjugendlichen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele.

Die Führung der Grünen hat bereits die nächsten Schritte in Angriff genommen. Die Partei werde sich jetzt vorrangig der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik widmen, droht Fraktionsvorsitzender Schlauch. Sein Vorschlag: Niedriglöhne sollen staatlich gefördert werden. Dagegen hatten sich die Grünen in ihrem Bundestags-Wahlprogramm 1998 noch ausdrücklich gewandt.

Nicht nur deswegen hatte die "taz" auf Seite VII ihres Sonderteils "Wahrheit" die "Gurke des Jahrzehnts" gekrönt: die Grünen. Seit 1991 sei die Partei "als politische Veranstaltung tot". Seit zehn Jahren gelte: "Survival of the Miesest, Blödest, Tötest." Aber bis dahin haben die meisten Delegierten wohl gar nicht mehr gelesen.

Links zum Thema:

Bündnis 90/Die Grünen: Sonderseite zur BDK in Rostock

Stuttgarter Nachrichten - Berichterstattung

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Berichterstattung

taz - Berichterstattung

taz - "Gurke des Jahres"

taz - Kommentar von Bettina Gaus

taz - "Gurke des Jahrzehnts"

Aufruf "Wir machen weiter"

grüne zeitung - Liste der Parteiaustritte

grüne zeitung - Gegen den Krieg in Afghanistan



erstellt: 29.12.2001
aktualisiert: 09.01.2002


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