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Tschö, Annelie
Die
letzten Aufrechten verlassen den Bundestag. Für die Grünen kandidieren
nur noch aussichtslose Opportunisten.
Es ist ein Abschied in Würde. Nach acht Jahren Parlamentszugehörigkeit
verlässt Annelie Buntenbach nach der Wahl am 22. September 2002
den Deutschen Bundestag. "Freiwillig und nicht von der Partei gezwungen",
wie die engagierte Gewerkschafterin und Antifaschistin gegenüber
dem Parlaments-Organ "Blickpunkt Bundestag" (Ausgabe 7/2002) betonte.
Militär als Mittel der Politik lehnt Annelie Buntenbach nach wie
vor ab. Es schmerze sie, dass Sie dafür den Preis des Ausscheidens
aus dem Bundestag zahlen müsse. Aber, so zitiert das Blatt weiter:
"Ich bin mit mir im Reinen." Im Mai 1999 hatte die Bielefelderin
beim Grünen-Parteitag in ihrer Heimatstadt die vehementeste Rede
gegen den völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Angriffskrieg auf
Jugoslawien gehalten. Immerhin 40 Prozent der Delegierten konnte
Buntenbach für ihre Position gewinnen. Viel, aber nicht genug. Buntenbachs
Niederlage beim Kosovo-Parteitag löste die erste große Austrittswelle
bei den Grünen seit Regierungsantritt aus.
Den Bundestag verlässt auch Christian Simmert. Vier Jahre war
Simmert, der wie Buntenbach aus Nordrhein-Westfalen stammt, Mitglied
des Bundestags. Bereits am 16. September 2001 hatte Simmert seinen
Grünen-Kreisverband Warendorf darüber in Kenntnis gesetzt, dass
er für eine zweite Amtszeit nicht kandidieren werde - weder auf
der NRW-Landesliste noch direkt in seinem Wahlkreis. Simmerts Bilanz:
"Die politische Auseinandersetzung um den Kosovo-Krieg und die Intervention
der NATO war für mich die wohl einschneidendste Erfahrung, die mein
persönliches Verhältnis zu Bündnis 90/Die Grünen sehr verändert
hat. Ich betrachte die Partei (und ihre Entscheidungen) seit der
Bundesdelegiertenkonferenz in Bielefeld im Mai 1999 nun mit unaufgeregter
Distanz, im Gegensatz zu früheren Zeiten. (...) Die Enttäuschung
über die rasante Veränderung oder das ´professionelle Schweigen´
einiger Kolleginnen und Kollegen in Fraktion und Partei in Sachen
Krieg und Frieden kann ich an dieser Stelle nicht ganz bei Seite
schieben. Auch das politische Abtauchen einiger grüner Akteure in
Bundesregierung und Fraktion in dieser Frage nach Ende der NATO-Bombardierungen
zeugt von politischer Veränderung, die ich nicht nachvollziehen
kann und will."
Während Buntenbach und Simmert die Zeichen der Zeit erkannt haben
und aufrecht die Segel streichen, wollen andere der Öffentlichkeit
immer noch vorgaukeln, bei den Grünen seien noch linke Positionen
vertreten. Etwa Christian Ströbele: Bei der Kandidatur um den Berliner
Listenplatz 2 unterlag Ströbele dem neoliberalen Ostdeutschen Werner
Schulz und kam gar nicht auf die Landesliste. Doch statt des geordneten
Rückzugs ließ sich Ströbele von seiner Partei als Direktkandidat
im Wahlkreis 84 aufstellen. Die Begeisterung der Mitglieder hielt
sich in Grenzen: Ganze 60 von 600 Parteimitgliedern fanden den Weg
zur Kandidatenkür, berichtete die "taz" am 14. März 2002. Auf 48
von 49 abgegebenen Wahlzetteln habe am Ende "Ja" zu Ströbele gestanden.
Doch statt darüber zu sprechen, wie der Wahlkampf für Ströbele geführt
werden soll, der allen Ernstes direkt in den Bundestag gewählt werden
will, zogen es die grünen Kombattanten vor, direkt in die naheliegenden
Kneipen zu ziehen.
Ein Ritter von ähnlich trauriger Gestalt ist Winfried Hermann.
Ihm ist es tatsächlich gelungen, auf eine Landesliste der Grünen
gewählt zu werden - am 13. April 2002 in Baden-Württemberg auf Platz
8. (Der Parteitag musste peinlicherweise wiederholt werden, weil
beim ersten Mal mehr Delegierte abgestimmt hatten als nach der Satzung
hätten eingeladen werden dürfen). Im Rennen um Platz 4 unterlag
Hermann dem Fraktionsvorsitzenden Rezzo Schlauch, um Platz 6 dem
Vorzeige-Türken Cem Özdemir und eroberte schließlich Platz 8. Das
klingt erstmal ganz nett, denn auch 1998 hatten die baden-württembergischen
Grünen acht Abgeordnete gestellt. Nur: Zum einen wird der Bundestag
zur Wahl 2002 verkleinert, zum anderen hat der neoliberale Kriegskurs
den Grünen massiv Sympathie bei den Wählern gekostet. Auch Hermann
hat also keine Chance, in den Bundestag zurückzukehren.
Dennoch jubelte Hermann, der sich in der Grünen-Fraktion überraschenderweise
an die Spitze der Gegner des Afghanistan-Kriegs gesetzt hatte und
in Tübingen direkt kandidiert, nach dieser Niederlage laut "Süddeutscher
Zeitung": "Jetzt kann ich einen Erststimmen-Wahlkampf machen für
die pazifistische Position und einen Zweitstimmen-Wahlkampf für
die Grünen." Eine feine Differenzierung, die nur noch Rezzo Schlauch
in der "Welt" besser auf den Punkt brachte: "Ein aufrechter Pazifist,
der die Grünen nach der Entscheidung für den Bundeswehreinsatz in
Afghanistan verlassen hat, wird die Partei auch nicht deshalb wählen,
weil Winfried Hermann auf einem vorderen Listenplatz steht."
Bleibt zu ergänzen: Natürlich erst recht nicht, wenn er auf einem
hinteren Listenplatz als Alibi-Kandidat steht.
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