Die Austrittswelle rollt - Heidi Meinzolt-Depner

ABSCHIED VON DEN GRÜNEN

Vor 19 Jahren, als ich den Grünen beigetreten bin, ging es darum, neue Themen in der politischen Arena zu verankern. Als Grüne legten wir programmatisch und in vielen phantasievollen Aktionen unsere Finger in Wunden der Wohlstandsgesellschaft. Dafür bekamen wir in Deutschland, Europa und schließlich weltweit Zustimmung. Die Grünen ergriffen die historische Chance, ein Gesamtkonzept umzusetzen, das soziale Gerechtigkeit und Freiheitsrechte für Frauen, Unterdrückte und Andersdenkende verbindet mit Frieden durch Gewaltverzicht und die Förderung ziviler präventiver Politik und Lebensqualität durch hohe Umweltziele und eine nachhaltige Entwicklung, insbesondere im Nord-Süd-Horizont.

Einen historischen Moment lang gab es die Hoffnung für mich, Politik könnte offener, ehrlicher, direkter und auch irgendwie moralischer sein. Die Enttäuschung, daß sich daraus keine dauerhafte neue politische Kultur entwickelt hat, ist deshalb jetzt sehr persönlich und umso bitterer.

Dieses grüne Projekt lebte durch die breite demokratische Beteiligung vieler Menschen unterschiedlichster Herkunft, Alter und ideologischer Orientierung. Die Verfestigung im System und die Hierarchisierung im institutionellen Gefüge, hat den Grünen in einem schleichenden Prozess viel von ihrer Ursprünglichkeit und Unkonventionalität genommen. Obrigkeitshörigkeit, Systemkonformismus, Selbstgerechtigkeit und Verkrustungen machen sich breit. Die Grünen schwimmen im gesellschaftlichen Mainstream, mit schwindendem eigenen Profil. Sie schaden damit nicht nur sich selbst, sondern tragen dazu bei, Politikverdrossenheit und Fatalismus zu verstärken.

Mich erschreckt daran insbesondere, daß dies als "endlich erwachsen werden und Verantwortung tragen" bezeichnet wird. Eine sich immer wieder selbst bestätigende Politikerklasse treibt diese Entwicklung aktiv voran. Viele Grüne der ersten Stunde verlieren ihre politische Heimat. Und so wird nun tatsächlich "der Dachboden entrümpelt" - wie dies eine Gruppe junger Grüner schon vor Jahren einforderte.

Nach der Erosion grüner Grundwerte und nach endlosen Strukturreformen in den letzten Jahren, die die Eigenständigkeit der Grünen als Parteiorganisation verwischt haben, nach erpresserischen Konsensverhandlungen mit der Industrie und unter der Fuchtel eines Regierungspartners, wurde das grüne Programm auf Regierungskompatibilität zurechtgeschliffen. Und doch lohnte es sich in meinen Augen noch im letzten Jahr für das neue, zur Verabschiedung anstehende, Grundsatzprogramm zähneknirschend zu streiten. Nachdem dies von der politischen Tagesordnung abgesetzt wurde, kann es jetzt nach der Disziplinierung der Partei in Rostock mit großer Wahrscheinlichkeit ohne Abstriche durchgezogen werden. Damit werden die Grünen eine andere Partei. Dies ist wie eine Änderungskündigung und so habe ich das für mich verstanden.

Der Paradigmenwechsel, mit dem Krieg zum legitimen Mittel auch grüner Politik in Deutschland wird - ist schließlich der "point of no return" für mich. Aktiver Pazifismus der andere als militärische Antworten einfordert, hat eine politische Stimme verloren und ist damit, mit Auswirkungen weit über grüne Parteikreise hinaus, so diskreditiert, daß auch zukünftig zivile Konfliktlösung in ihrer Nische bleibt.

Es geht auch anders: die grünen Parteien in England, Schweden, Portugal, Italien und in der Ukraine haben sich strikt gegen Militärschläge in Antwort auf den 11.September gewandt. Die amerikanischen Grünen verwiesen in ihrer klaren Ablehnung des Afghanistankrieges explizit auf die geostrategischen Interessen, die in Zentralasien verfolgt werden, auf die Notwendigkeit einer juristischen Terrorismusverfolgung, die mit der Ablehnung des Internationalen Strafgerichtshofes nicht gewollt wird und den Boykott der Biowaffenkonvention durch die US-Regierung als falsche strategische Orientierung. Wo bleibt da noch der vielberufene "Konsens" innerhalb der grünen Familie?

Damit nicht genug: Deutsche Grüne sind mittlerweile an der Militarisierung Europas beteiligt. Militärische Aktionen als Solidaraktion werden immer mehr zur "prima ratio", die erst das Terrain bereitet für einen Stabilitätspakt oder eine - mit Männern bestückte - Wiederaufbaukonferenz, wobei Schäden repariert werden sollen, die eine milliardenschwere Bombardierung einschließlich aller "Kollateralschäden" wissentlich zuvor verursacht hat.

Fazit: Die deutschen Grünen sind international nicht der Maßstab aller Dinge! Auch irgendwie tröstlich!

Die Kopplung der Zustimmung zu militärischen Aktionen an die Machtfrage in der Partei und für die Regierungskoalition - am Rostocker Parteitag - ist für mich ein falsches Signal. Sie ist eine Einbahnstraße, die das Terrain vorbereitet für weitere politische Hasardeurstücke. Sie schafft die weitreichende Entmündigung kritischer Geister in der Partei und sie baut Glaubwürdigkeit grüner Inhalte auch in der Bevölkerung ab. Die programmatischen Restbrocken, die noch dem Fußvolk vorgeworfen werden, unter dem Motto "Friss oder stirb" - in uneingeschränkter Solidarität mit dem "Futtermittelhersteller"- machen mich nicht mehr satt.

Ich habe in meinen Jahren bei den Grünen ehrenamtlich in vielen Spannungsfeldern gearbeitet, als Sprecherin des Landesverbandes Bayern, Sprecherin bundes- und landesweiter Arbeitskreise zu Fragen der Europa-, Friedens- und Eine-Welt-Politik, als Vorstandsmitglied der Europäischen Grünen, als Kreisvorsitzende und Kandidatin für den Bundestag und das Europaparlament - mit großem Spaß und vielen Wechselbädern der Gefühle. Dabei ist so Manches erreicht worden. Und so sehe ich mich auch weiterhin vielen Anliegen der Grünen und grünen Programmen verpflichtet und vielen Freunden und Mitstreiterinnen freundschaftlich verbunden.

Meine Aktivitäten werden sich jetzt auf die Tätigkeit in Initiativen und NGOs konzentrieren.

27.11.2001



29.11.2001


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