Die Austrittswelle rollt

Den Grünen nicht mehr grün - Willi Hoss verlässt die Partei

1979, im Jahr der Gründung, trat Willi Hoss bei den Grünen ein: Ein aufsehenerregender Schritt des damals schon prominenten Daimler-Betriebsrats, der die bunte Öko- und Alternativpartei weiter aufwertete. Jetzt ist Hoss, mittlerweile 72-jährig, aus Protest gegen die Beteiligung deutscher Soldaten am Krieg in Afghanistan ausgetreten.

Mit Hoss zusammen verließen seine Frau, die Schauspielerin Heidemarie Rohweder, und der DaimlerChrysler-Betriebsrat Gerd Rathgeb die Partei.

In einer gemeinsamen Erklärung der Drei heißt es mit Bezug auf die Zustimmung der Grünen zu einem deutschen Militäreinsatz im Kampf gegen den Terrorismus: "Diese Entscheidung setzt den Schlusspunkt unter eine Entwicklung, die wir als ein Wegrutschen von Positionen ansehen, die die Grünen als Grüne ausmachen."

Hoss, der sich seit dem Ende seines Bundestagsmandats 1990 für die Bewohner brasilianischer Regenwaldgemeinden engagiert, sagte im FR-Gespräch, er habe seit zwei Jahren Austrittsgedanken mit sich herum getragen. Ein Wahlverein, orientiert nurmehr am Machbaren, die Visionen einer besseren, solidarischeren Welt vergessend, ausgeliefert Spitzenfiguren, die zu sehr an der eigenen Karriere interessiert sind - so stellen sich ihm die Grünen mittlerweile dar.

Im aktuellen Konflikt stört ihn vor allem, dass die Grünen nicht mehr grundsätzlich diskutieren, zum Beispiel die Erdölinteressen der Industriestaaten in der Kriegsregion. Eine "Anknüpfung an den Kolonialismus" sieht Hoss im Vorgehen der Großmächte. "Auch hätte ich mich sofort gegen das Wort von der uneingeschränkten Solidarität mit den USA gewandt", sagt Hoss. Die Bilder von getöteten afghanischen Zivilisten haben ihn wieder an Vietnam erinnert und an die 20 000 Opfer, die das vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA an die Macht gebrachte Pinochet-Regime in Chile forderte.

Gewiss, sagt Hoss, gegen den Terror muss etwas unternommen werden, die Anschläge in den USA hat auch er als "ungeheuerlich" empfunden. Aber: "Man muss kritisch sein." So wie er selbst, jahrzehntelang Mitglied der orthodoxen KPD, 1968 bei der Zerschlagung des Prager Frühlings, gesagt habe: "Jetzt ist Schluss." Der Verfolgen der Schuldigen würde Hoss in Afghanistan zustimmen, nicht aber "Bombenteppichen gegen ein ganzes Volk". Und am Ende der schriftlichen Austrittserklärung mag er sich den Hinweis nicht versagen: "Bei der Zerschlagung der terroristischen Kommunikations- und Trockenlegung der Finanzierungswege könnten gleichzeitig sogar wertvolle Erfahrungen für die Bändigung des in der Welt ,vagabundierenden internationalen Finanzkapitals' gesammelt werden, das unter dem Strich nicht weniger Unheil anrichtet."

Bundesweit bekannt geworden war Hoss in den 70er Jahren, als er gegen den Willen der IG Metall die oppositionelle "Plakat"-Betriebsratsgruppe bei Daimler-Benz ins Leben rief. Als er 1985 vorübergehend aus dem Bundestag herausrotieren musste, kehrte er an seinen alten Arbeitsplatz als Elektroschweißer bei dem Autokonzern zurück. Von führenden Realo-Vertretern wie Joschka Fischer, Fritz Kuhn oder Rezzo Schlauch entfremdete er sich, 1990 wurde Hoss nicht mehr für den Bundestag aufgestellt. Seitdem hat er die Grünen mit wachsender Distanz begleitet.

Dass Hoss nun aus der Partei ausgetreten ist, kommentierte die Grünen-Chefin Claudia Roth "mit außerordentlichem Bedauern". Die Partei, meinte sie, werde "alles tun, um die Brücken zu ihm nicht abzubrechen".

Quelle: Frankfurter Rundschau, 20.11.2001



28.11.2001


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