Die Austrittswelle rollt - Helmut Horst

Abschied von den Grünen

Ich erkläre meinen Austritt aus der Partei Bündnis90/Die Grünen. Zusammen mit anderen aktiven Menschen habe ich 1980 die Partei DIE GRÜNEN gegründet. Unser programmatisches Fundament waren die vier Säulen ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei.

Die Partei wurde ein wichtiges Glied in der Friedensbewegung der achtziger und neunziger Jahre mit der Devise "Frieden schaffen ohne Waffen". Diese klare pazifistische Position haben wir in allen Wahlprogrammen bekräftigt und sind dafür auch gewählt worden. Und diese pazifistische Orientierung haben wir beim Zusammenschluß mit dem ostdeutschen Bündnis 90, dessen Mitglieder in der DDR-Friedensbewegung sich für "Schwerter zu Pflugscharen" engagiert hatten, im Grundkonsens verankert. Dort heißt es ganz unmissverständlich: Wir lehnen Krieg als Mittel der Konfliktlösung ab.

Die Parteiführung, also Bundesvorstand, Parteirat und Bundestagsfraktion, hat diesen Grundkonsens verlassen. Ihre Exponenten, z.B. Claudia Roth Kerstin Müller oder Joschka Fischer, bezeichnen sich nun als "Politische Pazifisten" , womit sie eine Art Halbpazifismus propagieren. Sie wollen aus opportunistischer Gründen von der Tradition und positiven Ausstrahlung des Pazifismus nicht lassen, obwohl sie ihn durch ihre Beteiligung an den Kriegen der USA, die ja sogar Angriffskriege sind, verraten haben. Diese "Popas" tragen damit erheblich dazu bei, nicht nur den Pazifismus, sondern auch die Grünen unglaubwürdig zu machen. Sie haben es geschafft, dass heute sich diejenigen in der Partei rechtfertigen müssen, die am Grundkonsens festhalten und nicht diejenigen, die dagegen verstoßen! Bei den Grünen wird heute soviel von Verantwortung als Regierungspartei geredet. Ich finde, dass die Grünen eine riesige Verantwortung für die weitere Stärkung der Friedensbewegung hätten, für das Gedeihen des immer noch zarten Pflänzchen Pazifismus in Deutschland und in der Welt! Jahrtausendelange Prägung des Bewusstseins der Menschheit im kriegerischen und sozialdarwinistischen Sinne, besonders ihres männlichen Teils, haben ihre nur schwer tilgbaren Spuren hinterlassen. Deshalb ist jede neue Akzeptanz militärischer Lösungen - wie jetzt durch die Grünen - so fatal.

Sie reden davon, dass sie durch ihre Politik Menschen schützen und befreien sowie Menschenrechten zum Durchbruch verhelfen. Ich kann das weder nachvollziehen noch mittragen, wenn das bedeutet, dass Bomben auf unschuldige Menschen in Serbien oder Afghanistan geworfen werden. Wenn die Grünen sagen, ja, wir stellen doch Bedingungen an unsere Zustimmung zum Krieg, weil wir auch keine Streubomben wollen, dann weiß man nicht, ob man über soviel Naivität lachen oder über soviel Gerissenheit gegenüber der kriegsunwilligen Parteibasis und der Öffentlichkeit weinen soll. Eines ist sicher: Die Kriegsführung der USA oder der NATO hat sich jedenfalls an diese Bedingungen nicht gehalten und wird sie auch in der Zukunft ignorieren.

Anders als der Bundeskanzler mit seiner "uneingeschränkten Solidarität" gegenüber den USA ist die grüne Parteiführung nunmehr "kritisch solidarisch". Ich bin weder das eine noch das andere! Ich habe mit den Amerikanern angesichts der furchtbaren Anschläge getrauert, aber ich bin nicht solidarisch mit der ungebrochen imperialistischen Politik der USA, die ihre politischen und wirtschaftlichen Ziel weltweit und je nach Lage mit diplomatischen, repressiven und militärischen Mitteln durchzusetzen sucht, ohne sich an internationales Recht zu halten oder dieses gar zu befördern. Amerikas Grüne sind geschlossen gegen den Krieg in Afghanistan, weil es der amerikanischen Regierung dort nicht vorrangig um die Bekämpfung des Terrorismus, sondern um die Kontrolle der Ölquellen im Mittleren Osten geht. Die Kritik an den Atombomben-Abwürfen, am Krieg in Vietnam, an den zahlreichen Interventionen in Lateinamerika, an der Weigerung, am globalen Klimaschutz sich zu beteiligen und die Kritik am konsumorientierten "American way of life" sind mithin kein Antiamerikanismus, sondern eine Kritik, die von der kulturellen Elite der USA und den kritischen Amerikanern getragen wird.

Die Parteiführung meint, dass die Grünen Abstriche vom Pazifismus machen müssten, um die rot-grüne Koalition zu erhalten. Ich kann auch diese Auffassung nicht teilen, denn die Ergebnisse der Regierung sind bislang eher mager. Ich befinde mich hier offensichtlich im Einklang mit unseren Wählerinnen und Wählern, die uns nach der Bundestagswahl 1998 eine Wahlniederlage nach der anderen beschert haben und uns nach Meinungsumfragen nur noch um die Hürde von 5% herum wählen würden.

Die Regierungsbeteiligung führte zur Infragestellung einer weiteren Grundsatzpostion aus der Gründungszeit: unser soziales Engagement! Die soziale Schieflage der rot-grünen Sozialpolitik ist offenkundig! Die Steuerreform hat die Konzerne und die ohnehin schon Reichen begünstigt, denn: Reform der Erbschaftssteuer - Fehlanzeige; Vermögenssteuer - Fehlanzeige. So werden die Reichen in Deutschland immer reicher, die Armen immer ärmer. Zu dieser Entwicklung wird auch die Rentenreform beitragen, weil sie im Wahn der Aktienmärkte und des shareholder-Prinzips die Altersvorsorge auf die kleinen Leute abwälzt. Die Reduzierung der Arbeitslosigkeit und die Sanierung der Staatsfinanzen waren nach eigenen Angaben die zwei Hauptaufgaben der Regierung. An beiden sind sie gescheitert. Die Arbeitslosigkeit ist weiter gestiegen, weil vor allem der Abbau von Überstunden und die Verteilung der Arbeit nicht durchgesetzt wurden. Stattdessen setzt die Regierung auf Wirtschaftswachstum, von dem wir wissen, dass es zur Klimaverschlechterung beiträgt, den Ressourcenverbrauch anheizt sowie noch mehr Flächenversiegelung, Umwelt- und Naturzerstörung bewirkt.

Das Glücksgeschenk der Milliarden aus den Erlösen der UMTS-Lizenzen wurde nicht zur Schuldentilgung genutzt, z.B. gingen 10 Milliarden in Investitionen für den weiteren Bau von Straßen. Stattdessen macht die Regierung weiter Schulden, von denen vor allem die Banken profitieren, die Steuerzahler aber bluten müssen. Jeden Tag muß der Bund mit einer Schuldenlast von über 2 Billionen Mark rund 300 Millionen Mark Zinsen zahlen, also jede vierte Mark seiner Steuereinnahmen!

Und der "Atomausstieg" mit seinem Festhalten an der Wiederaufarbeitung der Brennstäbe, der ungesicherten Entsorgung und dem monströsen Sicherheitsrisiko gegenüber Terroranschlägen läuft auf eine Bestands- und Profitgarantie der Energiekonzerne hinaus und kann wahrlich nicht als ökologisches Meisterstück eingestuft werden.

Die Parteiführung und die Mehrheit der Bundestagsfraktion sowie die Minister und Staatssekretäre auf Bundes- und Landesebene gehören heute zur politischen Klasse, zum "Establishment" der Republik, wie wir das damals nannten. Mit ihrem hohen Einkommen und ihrer herausgehobenen sozialen Stellung haben sie sich von den Nöten und Sorgen der Bevölkerung entfernt. (Neidhammelei würden Arbeitgeber und die FDP zu dieser Feststellung sagen!)

Die Sicherung ihrer Pfründen und ihres Einflusses in Partei und Staat ist ihr Hauptanliegen geworden, das Engagement in der Sache wird danach bewertet, "was es bringt". Da bleiben dann so nutzlose Felder wie Gewaltfreiheit oder Basisdemokratie auf der Strecke und gehören abgeschafft.

Der unkritische Teil der Parteibasis, repräsentiert durch die Mehrheit auf den Parteitagen, scheint sich in der Gloriole ihrer Führung zu sonnen und folgt ihr weitgehend kritiklos - eine ernüchternde Erfahrung!

Da es in den anderen Parteien nicht anders, eher schlimmer ist, kommen Zweifel auf, ob die Mitarbeit eines in Sachfragen engagierten Menschen in einer Partei die richtige Wahl ist. Die viel beklagte Verdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger an den Parteien und ihrer Unglaubwürdigkeit hat wahrlich seine sehr berechtigten Gründe!

Da vielen Grünen bei der Gründung der Partei das anscheinend eherne Gesetz der Herausbildung einer beherrschenden Parteioligarchie (Robert Michels) nicht unbekannt war, hatten sie versucht, durch basisdemokratische Mechanismen wie Rotation der Abgeordneten und der Vorstandsmitglieder sowie der Beschneidung ihrer Einkommen auf ein gesellschaftliches Durchschnittseinkommen, entgegenzuwirken. Das Ergebnis ist bekannt: der Oligarchie ist es gelungen, diese törichten, der Entwicklung der Partei angeblich im Wege stehenden Einschränkungen ihrer Macht- und Einkommensentfaltung wieder abzuschaffen, die Grünen wurden zur normalen Partei und nicht - wie Petra Kelly und andere gehofft hatten - zur Antiparteien-Partei.

Eine der schärfste Waffe der Oligarchie ist die Inszenierung der Parteitage, vor allem mit den für die Parteiprominenz reservierten Redebeiträgen. Da herrscht völlige Ungleichheit der Waffen! Während der Partei- und Fraktionsführung Redezeiten von einer halben Stunde eingeräumt werden, müssen die Vertreter der Basis über das Losverfahren darum kämpfen, um wenigstens fünf Minuten zu bekommen. Während ein/e Redner/in in einer halben Stunde eine politische Konzeption entwickeln kann, indem sie/er Zusammenhänge zu einem abgerundeten Bild zusammenfügt, reichen fünf Minuten allenfalls zu einer knappen und damit unvollständigen Positionsbestimmung.

Mit kargen Ergebnissen einer kleinen Regierungspartei könnte ich leben. Aber ich kann als Mitglied und Funktionsträger dieser Partei nicht damit leben, dass uns unsere Regierungsbeteiligung dazu zwingen soll, unsere Essentials aufzugeben! Und das sind für mich unverändert unsere vier programmatischen Säulen aus der Gründungszeit:

ökologisch - gewaltfrei - sozial - basisdemokratisch.

Eine in SPD-Regierungspolitik stromlinienförmig eingepasste grüne Partei dagegen, sozusagen eine "ökologisch-aufgeklärte Variante des Neoliberalismus" (Exgrüner Daniel Kreutz), die halte ich für entbehrlich!

Solange diese grüne Partei Staatspfründen zu vergeben hat, wird sich an der Herrschaft der Oligarchie nichts ändern. So bitter es ist: die Partei wird sich erst wieder erneuern können, wenn sie bei der nächsten Bundestagswahl an der 5%-Hürde scheitert. Dann werden sich die OligarchInnen ganz schnell woanders ein Betätigungsfeld suchen. Die Partei wäre nicht länger blockiert, sondern könnte zu den programmatischen und basisdemokratischen Anfängen zurückkehren! Man könnte - aus den gemachten Erfahrungen lernend - einen neuen Versuch starten, das Gesetz der Oligarchiebildung zu durchbrechen. Ob es gelingt, muß zweifelhaft bleiben...

Ich finde es deshalb sehr begrüßenswert, dass der Verein Basisgrün eine Offensive startet, die den Kurs der Parteiführung ablehnenden Orts- und Kreisverbände dafür zu gewinnen, keine Mitgliedsbeiträge mehr an die Bundesorganisation zu überweisen und sich dem Wahlkampf zur Bundestagswahl zu verweigern.

Ich möchte für mich ein deutlicheres Zeichen setzen und trete aus der Partei aus.

Mir tut es dabei besonders leid um meinen Landesverband Brandenburg. Dieser hat sich bemüht, einen Gegenkurs zu steuern und im Sinne eines gewaltfreien Friedensengagement auf die Bundespartei einzuwirken. Leider vergeblich. Damit ist vorprogrammiert, dass er auch beim nächsten Mal beim Versuch scheitern wird, in den Brandenburger Landtag einzuziehen. Daran können dann auch noch so wortreiche Papiere wie der Beschluß in Rostock zur Situation in Ostdeutschland nichts ändern. Sie haben keinen Träger, der sie umsetzen kann, und die Öffentlichkeit und die Menschen werden solches grüntypische Wortgeklingel nicht zur Kenntnis oder gar ernst nehmen.

Mein Kreisverband Oberhavel war schon durch den Kosovo-Krieg erheblich geschwächt worden und wird nach dem erneuten Aderlaß praktisch nicht mehr existent sein. Man mag mir nachsehen, dass auch meine lange geübte Geduld ihre Grenzen hat. Mein Engagement für Natur- und Umweltschutz und für eine Wende in der Verkehrspolitik wird weiter berlin-brandenburgisch sein. Ich bleibe in den Brandenburger NaturFreunden, die ein klares Bekenntnis für einen aktiven Pazifismus - auch kritisch gegenüber der Bundesorganisation - beschlossen haben, tätig.

Also, ich rufe meinen Freundinnen und Freunden zu: ich bleibe grün!



28.11.2001


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